Seit Geburt ringt Tanja Widmer um ihren Atem.
Jetzt hat sie eine Spenderlunge erhalten und darf wieder hoffen
Jetzt gehört Tanja wieder zu den glücklichen Menschen. Am 22. Mai setzten ihr die Transplantationschirurgen am Universitätsspital Zürich eine neue Lunge in den Brustkorb. Die Qual ist vorbei: Tanja bekommt genug Schnauf, ohne zusätzlich Sauerstoff inhalieren zu müssen. Nach der grossen Operation braucht die 19-jährige Appenzellerin aber noch eine Weile intensive Betreuung und verschiedene Therapien, bevor sie nach Hause darf.
Draussen im Spitalpark sucht sich die zierliche junge Frau mit den strohblonden Haaren ein schattiges Plätzchen und macht sich daran, den neuen Harry Potter zu verschlingen. «Wenn ich nicht lesen kann, bin ich nicht zufrieden », sagt sie und lacht verschmitzt. Es geht ihr gut. Und sie hat keine Schmerzen. Das war vor der Transplantation ganz anders.
Tanja Widmer leidet seit ihrer Geburt an der unheilbaren Erbkrankheit Cystische Fibrose (CF). Ein kleiner Gendefekt führt bei ihr dazu, dass die Säfte aus den Drüsen zäher durch den Körper fliessen als bei Gesunden. Mit verheerenden Folgen: Dicker Schleim bleibt in den Lungenflügeln liegen, behindert das Luftholen und bietet Bakterien aller Art einen idealen Nährboden. Und aus der Bauchspeicheldrüse gelangen zu wenig Verdauungsfermente in den Darm.
Die Diagnose bekamen die Eltern, als ihr Buscheli neun Monate alt war. Von da an musste Klein Tanja mehrmals täglich mit Atemtherapie und Inhalation ihre verstopften Lungen befreien, vor
den Mahlzeiten regelmässig die fehlenden Verdauungssäfte schlucken, damit sie gedieh, und von Zeit zu Zeit Antibiotika-Kuren gegen die bedrohlichen Infektionen über sich ergehen lassen. Trotz allem: «Seit ein paar Jahren gings mit dem Atmen langsam, langsam abwärts», erzählt sie.
Vor einem Jahr willigte sie ein, dass ihr Arzt sie im Unispital Zürich für eine Lungentransplantation anmeldete. Eines Morgens hatte ich noch halb so viel Sauerstoff im Blut wie ein gesunder Mensch. Ich war todkaputt. Jeder andere wäre umgekippt», sagt sie. Dies bestätigt auch Prof. Dr. med. Annette Boehler, Lungenfachärztin und Tanjas Betreuerin am Universitätsspital: «Sie ist eine zähe Kämpferin. Lange Jahre passte sich ihr Körper der schleichenden Verschlechterung an. Mit Tanjas minimaler Lungenfunktion wären Sie und ich längst bettlägerig gewesen.»
Sind indessen die Reserven aufgebraucht, geht es CF-Patienten «sehr rasch sehr schlecht», erklärt Annette Boehler, «und es war gut, dass sich Tanja zu diesem Zeitpunkt bereits überlegt hatte, ob sie sterben oder die Chance einer Transplantation nutzen möchte.»
Es gab nur ein Entweder-oder
Tanja Widmet kam auf die Warteliste für eine Lunge. «Ich machte mich auf eine lange Wartezeit gefasst», erzählt sie, «weil ich eine seltene Blutgruppe habe.» Von der Blutgruppe, der Grösse des Organs und weiteren Gewebemerkmalen hängt es ab, ob eine Spende passt oder nicht. «Angst, dass ich kein Organ bekomme, hatte ich nie. Ich wusste, der Tag wird kommen.»
Der Tag kam schneller als erwartet. Tanja sass beim Mittagessen und schob gerade den letzten Bissen in den Mund. Um 13.02 Uhr meldete Zürich aufs Handy: «Wir haben von Swisstransplant, der Schweizerischen Stiftung für Organspende und Transplantation, eine Lunge erhalten.» Tanja erinnert sich exakt. Zwanzig Minuten später landete ein Rega-Helikopter auf dem Schulhausplatz des munzigen Appenzeller Dorfes, wo die Widmers daheim sind, und flog Tanja aufs Dach des Unispitals.
Abends gegen acht Uhr begann die Operation. Die Chirurgen klappten ihren Brustkorb auf, entnahmen den einen Lungenflügel und ersetzten ihn mit dem Spenderorgan, dann den anderen. Es musste schnell gehen. Lungen «überleben» nur wenige Stunden ausserhalb des Körpers. «Sie gehören zu den ganz heiklen Organen» sagt Annette Boehler.
Morgens um drei Uhr war alles vorbei und vier Stunden später erwachte Tanja auf der Intensivstation. «Ich merkte sofort: Ich bin da. Es hat geklappt. Ich bekomme wieder Luft», sprudelt es aus ihr heraus.
Ihr Leben lang muss sie jetzt Medikamente schlucken, die ihr Immunsystem so weit bremsen, dass es die fremde Lunge nicht abstösst. Hat die Operation Tanja geheilt? «Nein», erklärt Annette Boehler. «Wir haben nur das Organ ersetzt, das von der Cystischen Fibrose am schlimmsten betroffen war. Der übrige Körper krankt weiterhin daran. Die Transplantation erhöht aber Tanjas Lebensqualität und verlängert ihr Leben.»
Dieser anspruchsvolle Eingriff bleibt vorläufig die einzige Therapie im Endstadium der CF. Die Operation wird laufend verbessert, was Technik und Nachbetreuung angeht. Um den Mangel an Organen in Grenzen zu halten, haben Pionier-Ärzte in Los Angeles jetzt sogar eine Methode entwickelt, welche die Lebend-Lungen-Spende erlaubt. Dazu sind zwei Spender nötig, die je einen Teil eines Lungenflügels zu spenden bereit sind. «Eine schöne Möglichkeit für Mutter und Vater, einem CF-kranken Kind Leben zu schenken», sinniert Annette Boehler.
Auch am Unispital Zürich wäre das Transplantationsteam technisch gerüstet für Lebend-Lungen-Spenden. Doch weil es sich um einen grossen Eingriff handelt, bei dem auch die Spender mit Komplikationen rechnen müssen, sind die Ärzte zurückhaltend. «Der Wunsch muss aus der Bevölkerung kommen» sagt Annette Boehler. Tanja Widmers Glück ist nicht alltäglich. Im Gegenteil. Die Lage ist katastrophal für Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten «Der Wunsch muss aus der Bevölkerung kommen», stellt die Professorin fest.
keine Spendenfreudigkeit
1137 Schweizerinnen und Schweizer warteten im vergangenen Jahr verzweifelt auf ein Herz, eine Lunge, Leber, Niere oder Bauchspeicheldrüse. Nur 388 bekamen ein Ersatzorgan. 54 Patienten auf der Warteliste starben. Woran liegts, dass Schweizerinnen und Schweizer nicht gerade spendefreudig sind, wenns um ihre Organe nach dem Tod geht? Annette Boehler ist überzeugt, dass es an der mangelnden Auseinandersetzung mit dem Thema liegt. «Unwissen ist der Grund dafür, dass in unserem Land so wenige einen Spenderausweis bei sich tragen.»
Tanja Widmer, die Glückliche, hat viele Pläne, wenn sie sich einmal von der Operation erholt hat. Am wichtigsten ist ihr, die Lehre als Arztgehilfin abzuschliessen. Aber, sie möchte auch nachholen, was sie in den vergangenen Jahren verpasst hat: Disco, Kino und Ferien am Meer.
Spenderausweis
In der Schweiz gibt es sechs Transplantationszentren: Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen und Zürich. Menschen, die aus medizinischen Gründen ein Organ benötigen, werden in der Schweiz gleichberechtigt behandelt. Ob sich jemand selbst als Spender zur Verfügung stellt oder nicht, spielt keine Rolle. Für Organspenden gibt es keine Altersgrenze. Das biologische Alter hat eine viel grössere Bedeutung als die Anzahl Lebensjahre.
Ob ein Organ gesund ist und sich für eine Spende eignet, wird in jedem Fall vor der Verpflanzung eingehend geprüft.
In der Schweiz gilt die Regelung, dass keine Organe entnommen werden, wenn Verstorbene keinen Spenderausweis bei sich tragen und Angehörige die Einwilligung nicht erteilen.
Wer seine Organe im Todesfall spenden möchte, muss 18 Jahre alt sein und einen Spenderausweis bei sich tragen. Einzelne Organe können ausdrücklich von der Spende ausgenommen werden
«Es fehlt einfach an Organen»
Krankheiten, bei welchen nur eine Organtransplantation helfen kann, sind für die Patienten wie ein langer Tunnel mit einem kleinen Hoffnungslicht am Horizont.
Die Hoffnung besteht darin, dass jemand aus der Bevölkerung bereit ist, im Todesfall einem solchen Patienten im Tunnel ein Organ zu schenken.
Sich bei voller Gesundheit mit einer Organspende und damit auch mit dem eigenen Tod auseinander zu setzen, ist nicht selbstverständlich.
Ein Entscheid zur Organspende gibt uns aber die Möglichkeit, Menschen, die ohne Spenderorgan dem Tod entgegensehen, ein Weiterleben zu ermöglichen. Mit dem Entscheid zum Tragen eines Drganspenderausweises ist ein wesentlicher Schritt getan, die heute allzu grosse Zahl von Patienten zu verringern, die hoffnungsvoll aber vergeblich bis zur letzten Minute auf ein Organ warten. Ich hoffe, dass in Zukunft noch mehr gesunde Menschen den Patienten im Tunnel auf diese Weise werden helfen können.