Leben auf der Vollbremse

Bluthochdruck kennt man. Aber Lungenhochdruck?

Kathleen Parzy kannte die Krankheit auch nicht, bis sie ein Arzt bei ihr feststellte. Schon länger war sie schnell erschöpft, wenn sie eine Treppe hoch laufen wollte. Aber plötzlich sprach ihr Arzt davon, dass ihr womöglich eine neue Lunge und ein neues Herz transplantiert werden müssten. Ein Schock.

Wenn Kathleen Parzy keinen Grund hatte, in ein schwarzes Loch zu fallen, wer dann? Ein Arzt hatte bei der Haltenerin „Lungenhochdruck“ diagnostiziert. Da war sie 33. Dass Patienten mit dieser Diagnose eine Lebenserwartung von eineinhalb bis drei Jahren haben, las sie anschließend zu Hause im Internet. „Ich hatte bis dahin keine Erfahrungen mit Krankheiten“, sagt sie. Und plötzlich sprach ihr Arzt von einer Herz-Lungen-Transplantation.

Damals kam sie gerade aus Australien, hatte auf Wanderungen ständig Pausen gebraucht, sodass ihr Mann sie nach den Ferien zum Arzt schickte. Da machte ihr Leben eine Vollbremsung.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Kathleen Parzys Leben hat seitdem zwar an Tempo verloren. Aber verzweifelt ist sie deswegen noch lange nicht.

Lungenhochdruck oder Pulmonale Arterielle Hypertonie (PH) ist eine schwerwiegende Krankheit, die sowohl Herz als auch Lunge betrifft. Bei den Betroffenen sind die Blutgefäße der Lunge verengt, sodass die rechte Herzkammer, die das Blut durch die Lunge pumpt, auf einen größeren Widerstand trifft als bei gesunden Patienten. Dies stört die Durchblutung der Lunge, verschlechtert die Sauerstoffaufnahme und überlastet die rechte Herzkammer – in manchen Fällen so sehr, dass das Herz versagt.

So wie die meisten Betroffenen hatte sie die ersten Anzeichen der Krankheit nicht selbst wahrgenommen: Luftnot bei Belastung und Müdigkeit. Die Krankheit beginnt häufig schleichend. Darum hat es jahrelang gedauert, bis Kathleen Parzy zum Arzt ging. „Bis dahin hatte ich gar keinen Hausarzt“, erzählt sie.

Schon gewusst?

15 bis 60 von 1 Million Menschen leben mit Lungenhochdruck. Pro Jahr wird er bei fünf bis zehn Patienten auf eine Million neu diagnostiziert.

Die Krankheit bedeutet für die Haltenerin: Jede Treppe ist für sie ein Graus. Nach drei, vier Stufen braucht die 38-Jährige eine Pause. Sie ist ständig müde und außer Atem. „Ich fühle mich so wie damals in der Schule, wenn wir 400 Meter gerannt sind.“, sagt sie. Nur: Damals hörte die Erschöpfung nach ein paar Minuten wieder auf. Jetzt nicht mehr. Sie gilt als schwerbehindert, ist verrentet und froh, zwei Tage pro Woche in einem Kindergarten die Büroarbeit erledigen zu dürfen.

Ohne ihren Rucksack auf dem Rücken geht sie nicht aus dem Haus. Darin steckt ein Sauerstoffgerät, das ihr bei jedem Atemzug eine Extra-Portion Sauerstoff durch die Nase drückt. Ohne das Gerät würde sie ständig nach Luft schnappen. Während bei gesunden Menschen der Sauerstoffgehalt im Blut bei 96, 97 Prozent liegt, rutscht er bei der Industriekauffrau schon mal auf 75. Blaue Lippen, Schwindel, im Extremfall ein Ohnmachtsanfall können bei Patienten wie ihr die Folge sein.
Privatdozent Dr. Michael Mohr setzt zurzeit noch auf Medikamente, um Kath­leen Parzy zu behandeln.

Darum zuckt Privatdozent Dr. Michael Mohr zusammen, wenn ihm Kathleen Parzy gesteht, dass sie beim Besuch im Supermarkt das Gerät gerne mal im Auto lässt. Der ist für die Halternerin anstrengend – auch, weil sie ständig angeguckt wird. „Die Blicke sind schon da,“ erklärt sie. Schließlich klemmt der Schlauch, der sie mit Sauerstoff versorgt, hinter ihren Ohren und liegt unübersehbar auf ihrer Oberlippe. Nicht schön, aber lebenswichtig.

Sonst ist die 38-Jährige eigentlich besonders penibel, wenn es um die Einnahme der vier Medikamente geht, die sie verschrieben bekommt. Zusätzlich steigt sie regelmäßig aufs Ergometer, um ihre Muskulatur zu stärken, so gut es geht.

Gegen die Krankheit haben die Ärzte eigentlich nur zwei Mittel: Medikamente oder eine Lungentransplantation. Zurzeit versucht es ihr Arzt Michael Mohr mit Medikamenten, die alle ihre Gefäße weiten sollen und deren Effekt sich addiert. Die allein kosten im Jahr 60?000 Euro. Trotzdem: „Patienten geht es nach einer Lungentransplantation häufig nicht besser als Frau Parzy jetzt“, sagt er. Und die beschreibt ihren Zustand im Moment als „ganz stabil“.

Sie hat geschluckt, dass sie kein Leben wird führen können wie andere. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie keine Kinder bekommen wird, obwohl die mal fester Teil ihrer Lebensplanung gewesen sind. Sie hat gelernt, trotzdem das Leben zu genießen und per Kreuzfahrtschiff zu verreisen – auch wenn es zum Beispiel ein riesiger Aufwand ist, die Versorgung mit Sauerstoff sicherzustellen. Aber sie hat auch erlebt, dass sie einen Mann hat, der bedingungslos zu ihr hält, der seine Arbeitszeit reduziert hat, um sie unterstützen zu können. Kathleen Parzys Liebeserklärung an ihren Mann geht so: „Er hätte mich auch verlassen können“, sagt sie und lächelt: „Hat er aber nicht.“

[@uelle: Westfälische Nachrichten Von Stefan Werding]