Einen Tag ohne Medikamente gibt es nicht mehr

Unser Sohn Alex (5 jährig) ist mit Down Syndrom und einem VSD auf die Welt gekommen.

Der Herzfehler wurde halbjährig erfolgreich korrigiert, und nichts deutete auf weitere Komplikationen hin.

Natürlich gingen wir regelmässig zu Nachkontrollen zu unserem Kardiologen. Während geraumer Zeit liess sich nichts auffälliges am Herz oder auch am Kind selbst beobachten. Er war wohl häufig energielos und blieb in seiner Entwicklung selbst hinter seinen gleichaltrigen Down-Syndrom „Gschpänli“ zurück, doch wir schrieben dies einfach einer stärkeren Ausprägung des Down-Syndroms zu.

Mit ungefähr zweienhalb Jahren wurde eine zunächst schwache, dann aber deutliche Vergrösserung seiner rechten Herzkammer diagnostiziert. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Kammer überlastet ist. Sehr schnell waren sich die Expertinnen einig, dass bei Alex eine pulmonale Hypertonie vorliegt. Zur Ursachenabklärung wurde unter anderem eine Polysomnographie (eine umfangreiche Untersuchung des Schlafes. Meistens im Schlaflabor) gemacht um starke Schlafapnoen auszuschliessen. Die sonst bei Down-Kindern so häufige Schlafapnoe wurde bei ihm nicht diagnostiziert, jedoch ein starker Abfall der Sauerstoffsättigung im Schlaf. Wieso dies geschieht, weiss bis heute niemand. Tatsache ist, dass eine chronische Hypoxie zu Lungenhochdruck führt. Bevor wir mit der Sauerstofftherapie angefangen haben, sind wir noch für zwei Wochen in die Ferien gefahren. In dieser Zeit bewegte sich Alex kaum noch, ass und trank wenig, schlief tagsüber sehr lange und, wie wir später aufgrund von Photos nachweisen konnten, schwoll er stark an (Ödeme). Damals konnten wir diese Zeichen nicht richtig deuten. Kurz nach unserer Rückkehr erlitt er eine dekompensierte Herzinsuffizienz, das heisst: Bewusstlosigkeit, Hospitalisierung und die schockierende Nachricht, dass Alex die nächsten Tage vielleicht nicht überleben wird. Die Herzinsuffizienz aufgrund des Lungenhochdrucks war überwältigend. Tage der Verzweiflung und des Weinens. An seinem dritten Geburtstag schien alles zu Ende, einzig die starke Wasseransammlung und der Sauerstoffmangel wurden therapiert, innerlich hatten wir schon angefangen uns auf den Abschied vorzubereiten. Dann aber das „Lasix Wunder“, Alex erholt sich erstaunlich gut von seinem Zusammenbruch, die Entwässerung rettete sein Leben.

Nachdem er wieder heim durfte, fingen wir auch Zuhause mit der konsequenten Sauerstofftherapie an und die Entwässerung wurde fortgesetzt. Es war klar, dass der Gesundheitszustand von Alex nur symptomatisch stabil war, die Sauerstofftherapie allein würde niemals reichen, seine Lage grundlegend zu verändern. Im Herzultraschall war deutlich sichtbar, dass die rechte Herzkammer riesig war, so gross, dass sie drohte die linke Kammer zu zerdrücken. Üblicherweise sollten die zwei Kammern etwa gleich gross sein. Der Druck in der Lunge musste gesenkt werden, das heisst seine Lungengefässe mussten medikamentös erweitert (relaxiert) werden. Bis zu jenem Zeitpunkt waren eigentlich nur klassische Kalzium-Antagonisten und intravenös applizierte Prostazykline verfügbar, erstere mit wenig Effizienz und letztere mit grossen Sicherheitsmängeln, da über die intravenöse Leitung komplizierte Infektionen eindringen können.

Seit 2002 war aber ein revolutionäres neues Medikament für die pulmonale Hypertonie zugelassen, Tracleer, ein Antagonist für das stärkste vasokonstriktive Hormon der Lungengefässe, das Endothelin. Voraussetzung für die Kostenübernahme der Versicherungen war allerdings, dass sich Alex einer Herzkatheter-Untersuchung unterzieht, um die Diagnosesteilung zu erhärten und die Druckverhältnisse in der Lunge direkt zu messen. Ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch war Alex vom Kreislauf her so stabil, dass wir diesem belastenden Eingriff zugesagt haben. Der Eingriff verlief alles andere als komplikationslos. Er hat ihn aber überlebt und es war klar, dass sein Lungendruck viel zu hoch ist, er erreichte Systemdruck. Es musste sofort gehandelt werden. Als erstes erhielt er ein Vasorelaxans, das berühmte Viagra. Der Wirkstoff in Viagra führt zu einem verminderten Abbau eines gefässerweiternden Botenstoffes, dem Stickoxyd. Ursprünglich wurde diese Substanzklasse für die Indikation instabile Angina entwickelt, als man bei den klinischen Versuchen feststellte, dass es auch die Erektionsfähigkeit verstärkte. Dies wurde dann die Ziel-Indikation und so gilt dieses wertvolle Medikament heute denn als „Iifestyle“ Medikament, das von keiner Kasse gezahlt wird (es figuriert nicht auf der Spezialitätenliste). Der Umstand, dass wir die Kosten selbst übernehmen mussten, hätte uns ohne Alex‘ behinderungsbedingten IV Beiträge in den Ruin getrieben (1800.monatlich). Noch in diesem Sommer sollte Viagra unter dem Namen Revatio für die pulmonale Hypertonie zugelassen und somit auch bezahlt werden. Der körperliche Zustand von Alex änderte sich schlagartig nach Beginn dieser Therapie. Einen Monat später kam das Tracleer dazu, was seinen Zustand weiter verbesserte. Zusätzlich zu diesen zwei Medikamenten haben wir die Entwässerung weitergeführt und eine Blutverdünnungstherapie aufgenommen. Die meisten dieser Medikamente sind nicht an Kindern geprüft worden, geschweige denn ihre jeweilige Verträglichkeit untereinander, aber dies war angesichts der lebensbedrohenden Situation zweitrangig.

Der Alltag mit der Krankheit hat dank der Therapie viel von der akuten Bedrohung verloren. Trotzdem ist der Tag von häufigen Medikamenten-Gaben und diversen Kontrollen geprägt. Bei Hitze und Höhe müssen wir weiterhin vorsichtig sein, und das Sauerstoffgerät darf auch in den Ferien nie fehlen. Aber meistens sind wir eine ganz normale Familie, die Krankheit tritt in den Hintergrund. Trotzdem kommt und geht die Todesangst wie ein Schatten. Von aussen betrachtet sieht man Alex nichts an. Es sind subtile Zeichen, die wir gelernt haben richtig zu deuten, und schwierig ist es sie nicht über zu bewerten. Es braucht Wenig, um das Gefühl der Panik aufkommen zu lassen. Wir sind sehr dünnhäutig geworden.

Mittlerweile geht es Alex deutlich besser, die Grössenverhältnisse der Herzkammern haben sich weitgehend normalisiert, der Lungendruck ist deutlich gesunken, und er hat in seiner Entwicklung gut vorwärts gemacht. Mehr können wir wahrscheinlich nicht erwarten. Bis vor kurzem hat man Kindern mit dieser Diagnose nicht mehr als ein Jahr Lebenszeit prognostiziert. Mit den neuen Behandlungsmöglichkeiten ist die Frage nach der Prognose nicht mehr zu beantworten. Einen Tag ohne Medikamente wird es in Alex zukünftigem Leben nicht mehr geben. Die Tatsache, dass Alex überhaupt noch bei uns ist, verdanken wir unserer privilegierten Situation: unsere „hightech“ Medizin, hoch spezialisierte Ärzte und Ärztinnen und die modernsten Medikamente brechen dieser lebensbedrohenden Krankheit die Spitze. Wir freuen uns über diese geschenkte Zeit mit Alex.

2007 / Isabel und Luca Piali

Internet: www.evhk.ch

[@uelle: Elternvereinigung für das herzkranke Kind]